CO2-Reduzierung im Software Lifecycle: Warum ökologische Optimierung auch ökonomische Optimierung bedeutet
Es stellt sich also die Frage, wie Digitalisierung nachhaltig vollzogen werden kann. Fest steht: Nachhaltigkeit beginnt schon vor der ersten Codezeile. Der Branchenverband BITKOM hat sich intensiv mit diesem Thema befasst und den dreiteiligen Leitfaden-Band “Ressourceneffizienz im Software Lifecycle” entwickelt. Als Mitglied des BITKOM Arbeitskreises und Co-Autor der Leitfäden haben wir die wichtigsten Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen hier für Sie zusammengefasst.
Software wirkt auf den ersten Blick ‚sauber‘: keine Rohstoffe, kein Abfall, keine Emissionen. Doch jede App, jede Email, jede API, jedes Training eines Machine Learning Modells verursacht direkt oder indirekt CO2. Denn Software braucht Hardware – und Hardware braucht Strom, Netzwerke, seltene Erden und Kühlung.
Der Druck auf den Wandel zur ‚Green IT‘ wächst: zunehmende Regulatorik (CSRD, Energieberichtspflichten), veränderte Kundenanforderungen an Lieferanten und unternehmensinterne ESG-Ziele erfordern eine neue Handlungsfähigkeit. Gleichzeitig wird Software immer komplexer, vernetzter, langlebiger – und damit auch ressourcenintensiver.
Nachhaltigkeit als Designfrage
Digitale Lösungen bestehen aus weit mehr als nur Code oder Hardware. Um mehr Ressourcen-Effizienz im Software-Lebenszyklus zu erreichen, gilt es, drei Perspektiven miteinander zu kombinieren:
Mensch-Perspektive (Erwünschtheit und Nutzerzentrierung)
Technologie-Perspektive (Machbarkeit)
Wirtschafts-Perspektive (Tragfähigkeit)
Diese Perspektiven werden auf drei Ebenen einer digitalen Lösung angewendet:
Elementebene (z. B. einzelne Schnittstellen oder Module)
Systemebene (das Zusammenspiel der Komponenten)
Lösungsebene (Geschäftsmodell und Mehrwert)
Nur wenn alle Ebenen und Perspektiven integriert betrachtet werden, lassen sich wirklich nachhaltige und ressourceneffiziente digitale Lösungen entwickeln. Der Software-Lebenszyklus kann in vier Phasen skizziert werden, in denen jeweils Weichen für die Ressourceneffizienz gestellt werden:
Auftragsklärung: In dieser frühen Phase wird die Vision für eine digitale Lösung formuliert. Dabei kann bereits abgeschätzt werden, welche Ressourcen auf allen Ebenen (Elemente, System, Lösung) erforderlich sind.
Konzeptarbeit: Hier wird die Lösung im Detail geplant. Es gilt, Geschäftsprozesse, Systemarchitekturen und einzelne Komponenten so zu entwerfen, dass sie möglichst wenig Energie und Materialien verbrauchen – beispielsweise durch gezielte Begrenzung von Betriebszeiten (on-demand Computing), durch Recycling-fähiges Hardwaredesign, oder mittels der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen durch mehrere Dienste.
Entwicklung: In der Realisierungsphase entscheiden oft kleine technische Details über die spätere Effizienz – etwa die Frage, ob Daten lokal gespeichert oder permanent übertragen werden. Deshalb müssen Entwicklungsteams bei jeder Entscheidung auch die Ressourcenauswirkungen mitdenken.
Betrieb und Weiterentwicklung: Nach dem Go-live ist es entscheidend, die Lösung kontinuierlich zu überwachen und Optimierungspotenziale zu nutzen. Das betrifft sowohl die technische Effizienz als auch mögliche Veränderungen im Geschäftsmodell oder Nutzerverhalten.
Ressourceneffizienz muss von Anfang an Teil des Prozesses sein. Entscheidungen, die zu Beginn getroffen werden – etwa zum Geschäftsmodell oder zur Systemarchitektur – haben langfristige Auswirkungen und lassen sich später nur schwer und mit großem Aufwand korrigieren. Selbst die effizienteste Technologie kann ein von Grund auf ressourcenintensives Konzept nicht vollständig kompensieren. Daher ist es entscheidend, Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil des digitalen Bauprozesses zu verstehen – nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus ökonomischer und gesellschaftlicher Sicht.
Nachhaltigkeit als Teil der strategischen Planung
In der Auftragsklärung sollten ökologische und ökonomische Nachhaltigkeitsziele explizit in die Vision und die Rahmenbedingungen der digitalen Lösung integriert werden. Dazu zählen Überlegungen zum Ressourcenbedarf für Entwicklung, Betrieb und einzelne Systemkomponenten. Bereits hier wird entschieden, welche Technologien eingesetzt werden, welche Hardware erforderlich ist oder ob externe Dienste genutzt werden. Auch Aspekte wie Ausfallsicherheit, Datenschutz und Kompatibilität werden im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeitswirkung analysiert.
Nachhaltige Konzeptarbeit durch bewusste Gestaltung
In der Konzeptphase werden Form, Funktion und Qualität der digitalen Lösung konkret ausgestaltet. Dabei gilt es, kritisch zu prüfen, welche Funktionen wirklich nötig sind, welche Daten gespeichert oder übertragen werden müssen (und in welcher Qualität), und welche Skripte oder Teilaufgaben durch Severless- und Microservice-Architektur in das on-demand Computing verschoben werden können. Dazu kann auch ein bewusstes Weglassen von Überfunktionalitäten zählen, um Energie und Ressourcen zu sparen. Zudem gilt es, den wahrgenommenen Bedarf von der technischen Notwendigkeit zu unterscheiden – ein Schlüssel für nachhaltige Architekturentscheidungen.
Etablierte Qualitätsmodelle wie ISO/IEC 25010 können bei der Definition nachhaltiger Anforderungen helfen. Auch die Definition von Minimal- und Maximalanforderungen bei der Qualitätsspezifikation kann ein wichtiger Hebel sein – also z. B. nicht nur eine Mindestgeschwindigkeit vorzugeben, sondern auch eine Obergrenze, um unnötigen Ressourcenverbrauch zu vermeiden.
Um Ressourceneffizienz im Software Lifecycle zu verankern und mehr Gewicht zu geben, kann sie explizit als Qualitätsziel formuliert werden.
Entwicklung & Betrieb: Messen, steuern, verbessern
Wie also können digitale Lösungen konkret gestaltet und betrieben werden, um ihren ökologischen Fußabdruck zu minimieren – ohne dabei Wirtschaftlichkeit und Funktionalität aus dem Blick zu verlieren?
Im Entwicklungsprozess zeigt sich, dass bereits die Wahl der Softwarearchitektur, Programmiersprache und Datenstruktur entscheidend ist für den späteren Ressourcenverbrauch. Eine durchdachte Architektur legt den Grundstein für eine energieeffiziente, wartbare und skalierbare Lösung. Ebenso wichtig ist die Programmierung selbst: Hier geht es darum, Algorithmen zu optimieren, redundante Prozesse zu vermeiden und effiziente Datenverarbeitung zu gewährleisten. Auch im Testing lassen sich durch gezielte Automatisierung, passende Testumgebungen und intelligente Datenwahl Ressourcen sparen. Ergänzt wird das durch moderne DevOps-Praktiken, die eine enge Verzahnung von Entwicklung und Betrieb ermöglichen – und damit eine ständige Optimierung von Code und Infrastruktur.
Im Betrieb setzen sich diese Überlegungen fort. Maßnahmen wie durchgehendes Monitoring, KPI-Überwachung, automatisiertes Skalieren, die Nutzung energieeffizienter Server, oder der gezielte Einsatz von Caching und Load-Shifting helfen dabei, Leistung und Ressourcenbedarf in ein besseres Gleichgewicht zu bringen. Auch die regelmäßige Bereinigung unnötiger Daten – insbesondere sogenannter „Dark Data“ – trägt wesentlich zur Senkung des Energieverbrauchs bei.
Ein zentrales Konzept ist die sogenannte Software Carbon Intensity (SCI), also der CO2-Fußabdruck einer Softwarefunktion über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg. Der Leitfaden zeigt, wie dieser Wert ermittelt und durch gezielte Maßnahmen in Entwicklung und Betrieb reduziert werden kann – etwa durch die Wahl CO2-armer Rechenzentren, optimierte Hardware oder softwareseitige Effizienzsteigerungen.
Ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit Hand in Hand
Nachhaltigkeit bedeutet für Unternehmen nicht zwangsläufig höhere Kosten. Im Gegenteil: Wer Ressourcen gezielt einspart, steigert in der Regel auch die Effizienz seiner digitalen Lösungen. Werden Nachhaltigkeitsaspekte bereits in der Planung berücksichtigt, lassen sich Systeme entwickeln, die auf überflüssige Funktionen, unnötige Daten und überzogene Qualitätsanforderungen verzichten. Das Ergebnis: Schlankere, effizientere Anwendungen, die nicht nur in der Entwicklung und im Testing, sondern vor allem auch im Betrieb und in der Wartung deutlich weniger Aufwand und Kosten verursachen.
Insgesamt verdeutlichen die BITKOM-Leitfäden: Nachhaltige Softwareentwicklung ist kein einmaliger Akt, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der Fachwissen, systematisches Monitoring und eine Kultur der ständigen Verbesserung erfordert. Wer ökologische Aspekte konsequent in die technische Umsetzung einfließen lässt, profitiert nicht nur von einem kleineren CO2-Fußabdruck, sondern auch von niedrigeren Betriebskosten, höherer Performance und besserer Zukunftsfähigkeit digitaler Produkte.
Die vollständigen BITKOM Leitfäden finden Sie hier zum kostenlosen Download.
Wie steht es um die Ressourcen- und Kosteneffizienz Ihrer Software?
Wir unterstützen Sie dabei, den Ressourcenverbrauch im Software Lifecycle zu optimieren, indem wir bei Konzeption und Entwicklung den späteren Betrieb von Beginn an mitdenken – und damit nicht nur Ressourcen schonen, sondern auch Kostenvorteile erzielen.